Fanny ist Astrid Lindgren-Expertin, arbeitet mit Kindern und hat ein zusätzliches Chromosom. Das Downsyndrom füllt ihr Leben und das Leben ihrer Eltern von Geburt an mit Erfolgsmomenten und prägenden Erfahrungen.
TEXT: HANNAH LEHNER
VIDEO, FOTOS: JULIA PABST
Ein breites Lachen strahlt über Fannys Gesicht, als sie Tür zu ihrem Zuhause öffnet. Die lichtdurchflutete Wohnung, in der Fanny und ihre Eltern leben, befindet sich in einem modernen Haus. Hier wohnen viele unterschiedliche Menschen, die sich Gemeinschaftsräume wie die Küche und den Festsaal teilen. In ihrem Zimmer macht es sich Fanny auf dem Bett gemütlich. Durch das Fenster tönt Kinderlachen und in ihrem großen Regal stapeln sich die Bücher, die sie eines nach dem anderen verschlingt.
Fanny hat ein zusätzliches Chromosom. Das bedeutet, dass sie sich nur durch ihr 21. Chromosom von Menschen ohne Syndrom unterscheidet. Die Abänderung im Erbmaterial, auch Trisomie 21 genannt, kann sich unterschiedlich auswirken. Das zusätzliche Chromosom beeinflusst das Aussehen sowie die Entwicklung eines Menschen. Oft kann es zu unterschiedlichen gesundheitlichen Problemen, wie Herzfehlern oder Magen-Darm-Schwierigkeiten kommen. Fanny hat breitere Stimmbänder und dadurch eine tiefere Stimme. Inwiefern das Syndrom das Leben eines Menschen einschränkt, hängt laut vielen Experten*innen von der Ausprägung des Downsyndroms ab. Fannys Mutter Anna meint, dass nicht die Ausprägung, sondern die Erziehung einen starken Einfluss auf das Leben ihrer Kinder mit Trisomie 21 hat. Wenn ein Kind beispielsweise in einer sportlichen Familie aufwächst, würde dieses höchstwahrscheinlich auch einen sportlichen Lebensstil haben, unabhängig von dem Syndrom. Sie betont: "Das Wichtigste ist, Downsyndrom ist keine Krankheit, sondern eben wie der Name sagt, ein Syndrom.“ Das bedeutet Trisomie 21 kann und soll auch nicht behandelt werden.
Die Entwicklung eines Kindes vor der Geburt kann mit Untersuchungen festgestellt werden. Fannys Mutter Anna ist bei ihrer Schwangerschaft über 40 Jahre alt. Dass ihr Alter zu einer Beeinträchtigung ihres Kindes, wie dem Downsyndrom, führen könnte, weiß sie. Eine Ultraschalluntersuchung zwischen dem vierten und fünften Monat ihrer Schwangerschaft zeigt, dass ihr Kind nicht vollkommen gesund ist. Die Neuigkeiten werden für Anna und ihren Mann zu einer großen Belastung. Sie beschreibt es als schwarzes Loch, aus dem sie sich durch genauere Recherche und einer Selbsthilfegruppe herauszieht. Zuerst schließt Anna jegliche genaueren Testungen aus., aber letztendlich stimmt sie den Untersuchungen zu und ist froh, durch diese gut auf ihre Geburt vorbereitet zu sein.
Fanny unterscheidet nur ein Chromonsom von Personen ohne Downsyndrom
Eine Chance für das Leben
Nicht jeder Fötus mit Trisomie 21 bekommt die Chance auf ein Leben. Die Pränataldiagnostik, also die Untersuchungen des Kindes vor der Geburt, sorgt regelmäßig für Diskussionen zwischen Eltern und Ärzten*innen. Mit Untersuchungen wie der Nackenfaltenmessung können Störungen der Erbanalagen zwischen der elften und vierzehnten Schwangerschaftswoche entdeckt werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind mit einer 93- bis 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit korrekt. Wie auch Anna und ihr Mann fallen viele Frauen und Männer verfallen in ein schwarzes Loch, nachdem sie erfahren, dass ihr Kind mit Downsyndrom auf die Welt kommen könnte. Nach Angaben von Aktion Leben (Stand 2019) entschließen sich weltweit 90 Prozent der Eltern, bei deren Kind Trisonomie 21 festgestellt wird, für einen Schwangerschaftsabbruch. In Österreich darf eine Frau nach dem Gesetz (§97 StGB) ein Kind bis unmittelbar vor der Geburt abtreiben, wenn „eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind körperlich oder geistig schwer geschädigt ist“. Die österreichische Gesetzeslage bezieht Downsyndrom hier mitein. Die Entscheidung zur Pränataldiagnostik und einem Schwangerschaftsabbruch fällt jede*r Betroffene selbst. Fannys Eltern haben sich dazu entschieden, ihrem Kind ein Leben zu schenken.
“Ich habe nur ein Chromosom zu viel, aber sonst bin ich genauso wie alle anderen“.
Heute ist Fanny 25 Jahre alt und sagt: "Ich habe nur ein Chromosom zu viel, aber sonst bin ich genauso wie alle anderen." In ihrer Freizeit ist sie eine leidenschaftliche Leseratte. Als Kind zweier Bibliothekare wächst sie mit Büchern auf. Schon von klein auf wird ihr viel vorgelesen und später beginnt sie selbst zu lesen. Als Fanny das Buch „Michel aus Löhneberg“ der Autorin Astrid Lindgren zu Weihnachten von ihrem Bruder geschenkt bekommt, beginnt sie eine Leidenschaft zur Kinder- und Jugendbuchautorin zu entwickeln. "Astrid Lindgren ist ja noch immer ein Dauerbrenner“, beschreibt Fanny ihre „absolute Lieblingsautorin“. Neben dem Vertiefen in Büchern, schwimmt Fanny gerne, hat vor der Pandemie trainiert sie im Fitnessstudio und fährt im Sommer mit dem Rad. Obwohl sie sich gerne bewegt, würde sie sich selbst nicht als „Sportskanone“ bezeichnen. Durch ihre Beinfehlstellung hat sie bei manchen Sportarten Einschränkungen. Ihre Bänder und Sehnen sind ein wenig zu locker. Dadurch ist sie zwar gelenkiger, Knieprobleme oder kleine Unfälle sind jedoch wahrscheinlicher. Um sich beim Sport oder in ihrer Arbeit sicherer zu fühlen, trägt sie manchmal eine Schiene für ihr Knie. Sonst trifft sie sich mit Freundinnen oder verbringt Zeit auf ihrem Arbeitsplatz. Sie sagt: "Ich mache auch ähnliche und gleiche Dinge, die jeder andere auch macht.“
Fanny liest gerne Bücher, besonders von Astrid Lindgren.
Inklusion im Berufsleben und der Ausbildung
Seit fast zwei Jahren arbeitet Fanny in unterschiedlichen Schulen. Dabei ist sie einerseits im Sekretariat und der Schulbibliothek tätig, andererseits beschäftigt sie sich mit den Kindern. Oft passt sie auf die Kinder in den Pausen auf oder hilft in der Schulküche aus. Arbeitserfahrungen mit Kindern hat sie schon mehr als zwei Jahre. Sie ist ausgebildete Kindergartenassistentin. Während ihrer Ausbildung hat sie zwar Spaß am Arbeiten, wird jedoch öfters „hin und her geschoben“ und wechselt schließlich ihren Beruf. Durch ein Projekt der „Integration Wien“ arbeitet Fanny drei Jahre lang für die Tageszeitung „Kurier“. Sie übersetzt die Zeitungsartikel in einfache Sprache und freut sich, dass sie somit nicht nur Menschen mit Beeinträchtigungen, sondern auch Personen mit mangelnden Deutschkenntnissen helfen kann. Da das Projekt nach drei Jahren ausläuft, wechselt Fanny zu ihrem derzeitigen Arbeitsplatz. Sie bekommt gleichzeitig ein Angebot für ein Studium in Salzburg, lehnt es jedoch ab. Nun ist sie froh, einen fixen unbefristeten Beruf gefunden zu haben, bei dem sie sich wohlfühlt. Bei anderen Personen mit Downsyndrom beobachtet sie manchmal das Gegenteil: "Leute mit einer Behinderung haben es nicht so leicht einen guten Job für sich zu finden, der für sie passt und das habe ich auch selbst mitbekommen.“
"Es sind nicht die Kinder, die sich ändern müssen, sondern das System"
In ihrer Kindheit wechselt Fanny mehrere Male die Schule, um sich an ihrem Lernort wohlzufühlen. Die Inklusion und Förderung funktionieren im Kindergarten und in der Volksschule gut. Mit der Sekundarstufe fangen die Probleme an. Mutter Anna sagt: “Für die Eltern beginnt hier der Leidensweg“. Fanny fühlt sich nicht gut genug integriert und erklärt: "Wenn die Hilfslehrerin nicht da war, bin ich von einer Klasse in die nächste geschoben worden.“ Daher wechselt Fanny die Schule. Das System der Montessori Schule findet sie besonders passend: Der spätere Unterrichtsbeginn, keine Hausaufgaben und Notengabe, nehmen ihr den Leistungsdruck und mindern den ständigen Vergleich. Durch sowohl positive als auch negative Erfahrungen mit unterschiedlichen Schulen zieht sie schließlich das Resümee: "Es sind nicht die Kinder, die sich ändern müssen, sondern das System.“
Fanny hat mehrere Schulen besucht und unterschiedliche Erfahrungen gesammelt.
Vertrauen in das Kind
Prägende Erfahrungen mit Diskriminierung hat Fanny nicht erlebt. Sie gibt anderen Menschen mit Downsyndrom den Rat, sich nicht ausschließen zu lassen, für sich zu kämpfen und darauf aufmerksam zu machen, wo es noch Probleme gibt. Fanny ist sehr selbstständig, hilft im Haushalt und fährt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, nimmt jedoch gerne Hilfe beim Umgang mit Geld an. Die Erziehung der beiden Kinder von Anna und ihrem Mann unterscheidet sich nicht. Sie betont das gleiche Vertrauen in Fanny wie in ihren Sohn. Daher haben Fannys Eltern sie immer auf Feste mitgenommen und sind mit ihr in den Urlaub gefahren, genauso wie mit ihrem Bruder. Anna sagt: "Es gibt Eltern, die dem Kind jeden Stein aus dem Weg räumen oder die dem Kind lernen über den Stein drüber zu steigen und ihn wegzuräumen selber.“
"Zuerst bin ich ein Mensch oder eine Frau oder eine Angestellte und dann kommt erst das zusätzliche Chromosom"
Um Menschen mit dem Downsyndrom die gleichen Chancen zu geben wie anderen, nennt Anna die „Inklusion auf allen Ebenen“. Jede*r Einzelne sollte seine Scheu verlieren und einen individuellen offenen Zugang zu Einschränkungen wie Trisomie 21 haben. Sie sagt: "Zuerst bin ich ein Mensch oder eine Frau oder eine Angestellte und dann kommt erst das zusätzliche Chromosom.“ Schließlich hätten alle Menschen eine gewisse Abweichung.
Weiterführende Informationen zum Downsyndrom findest du hier:
Down-Syndrom Österreich: Down-Syndrom Österreich möchte die sozialen, gesundheitlichen, wirtschaftlichen und beruflichen Interessen von Menschen mit Downsyndrom fördern. Sie veröffentlichen auch Informationen für Eltern. Direkte Ansprechpartner sind über +43 664/213 34 90 oder über office@down-syndrom.at zu erreichen.
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Bruno und Petra sind seit 20 Jahren verheiratet und haben sich noch nie gesehen. Eine Geschichte über den Alltag, die Barrieren und die Sorgen eines blinden Ehepaares.
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